Bidirektionale Laden
Das Stromnetz bildet das Rückgrat der Elektromobilität und das bidirektionale Laden ist eine Schlüsseltechnologie der Energiewende. Sie ermöglich netzdienliches Lastmanagement im kleinen aber auch im grossen Stil. Für die Eigenverbrauchsoptimierung gibt es schon heute gute Lösungen, jetzt müssen nur noch die Autohersteller vorwärts machen.
In medias res
Die Elektromobilität hat mit V2X ein riesiges Potenzial, netzdienlich zu sein. Aber dazu müssen Fahrzeuge bidirektional laden und mit ihren Ladestationen kommunizieren können. Ein Appell an die Politik:
Die Rückliefertarife der VNB müssen deutlich attraktiver werden. Insbesondere muss auch der Leistungspreis grosszügig vergütet werden.
Das Europäische Verbundnetz ist hoch verfügbar und sehr zuverlässig. Dennoch ist es auch fragil, da zu jedem Zeitpunkt die Leistungsparität von Erzeugung und Verbrauch gewährleistet sein muss. Das erfordert Regelleistung und Lastmanagement, auch nachfrageseitig. Davon profitieren alle, auch die Elektroautofahrer. Der Wachstumsmarkt Elektromobilität führt zu deutlich mehr Lasten in den Verteilnetzen. Kurzfristig ist das noch kein Problem. Mittel- bis langfristig muss aber die Elektromobilität sinnvoll und flexibel in das Gesamtsystem eingebunden werden. Dazu ist eine intelligente Laderegelung erforderlich und die schliesst auch die Rückspeisung von Energie mit ein. Im Hinblick, dass Autos im Durchschnitt in 95% der Zeit abgestellt sind, stellen sie für die Netzintegration und insbesondere die Netzstabilität ein riesiges Potenzial dar.
Elektrofahrzeuge können in verschiedener Arten eingebunden werden:
Vehicle-to-Grid (V2G)
Dieses Konzept sieht das Einspeisen von Strom aus
der Fahrzeugbatterie in das Netz vor. Eine grössere Fahrzeuggruppe ermöglich damit Peakshaving wie ein Kurzzeit-Speicherkraftwerk in dem Regelleistung ins Netz eingespeist wird.
Vehicle-to-Home (V2H)
Hier wird überschüssige Energie beispielsweise aus einer
eigenen Photovoltaikanlage in der Fahrzeugbatterie
gespeichert und bei Bedarf lediglich wieder in das
Hausnetz und nicht in das öffentliche Netz eingespeist. Mit V2H kann die Eigenverbrauchsquote erhöht werden und es wird zudem mit entsprechenden Geräten ein Notstrombetrieb für das Haus mit den Auto möglich.
Vehicle-to-Building (V2B)
Wie V2H aber für ein Gebäude mit mehreren Bezügern.
Vehicle-to-Device (V2D)
Die Fahrzeugbatterie kann bei diesem Konzept
(auch unterwegs) als Stromquelle beziehungsweise
Notstromaggregat für Elektrogeräte (wie zum Beispiel
Smartphones, Laptops oder Küchengeräte) verwendet werden.
Vehicle-to-Vehicle (V2V)
Damit wird die Verbindung zweier Elektrofahrzeuge zwecks Pannenhilfe bei leerem Akku oder Bereitstellung von Ladeenergie als Ladesäule möglich.
Vehicle-to-everything (V2X)
Darunter versteht man unspezifisch die oben genannten Anwendungen von bidirektionalem Laden.
Einige Fahrzeuge können bereits heute über CHAdeMo auch Energie zurückspeisen. Prinzipiell ist das auch über CCS möglich. In Japan muss jedes Elektroauto die bidirektionale Ladung beherrschen. In der Schweiz kann ab 1.1.2022 auch bidirektionale Ladestationen mit einem aktualisierten Technischen Anschlussgesuch (TAG) angemeldet werden, denn die Fahrzeugbatterie kann einem stationären Speicher gleichgesetzt werden. Eine Bewilligung kann erteilt werden, wenn die Ladeinfrastruktur neben den üblichen Sicherheits- und EMV-Normen auch die VSE-Empfehlung Netzanschluss für Energieerzeugungsanlagen (NA-EEA) einhält, schreibt swiss-emobility.ch.
Zusätzliche Alterung der Batterie?
Die verschiedenen Arten von Lithium-Ionen-Batterien haben alle eine sehr hohe Zyklenfestigkeit. Die Lebensdauer wurde anfangs auch sehr konservativ eingeschätzt. Neuere Forschungen zeigen, dass solche Batterien deutlich länger halten. Die Entwicklungen gehen weiter. Ausserdem ist die Belastung einer einzelnen Batterie eines gepoolten Fahrzeugparks der am Netz hängt und Peakshaving macht, derart gering im Vergleich zum üblichen Fahrbetrieb, dass kaum negative Auswirkungen zu erwarten sind.
Was nützt es?
Stellen wir uns vor nur gerade 100’000 der 4.6 Mio immatrikulierten PW, die dereinst einmal Elektroautos sein werden, wären an am Netz und würden +/- 10 kW bereitstellen, dann wäre das die Leistung von PSW Linth-Limmern oder AKW Gösgen. Um den Auslegungsstörfall des europäischen Verbundnetzes1 abdecken zu können, müssen jederzeit 3000 MW Primärregelleistung vorgehalten werden können. Das entspricht 300’000 Fahrzeugen die 10 kW zur Verfügung stellen können.
Es ist aber auch mehr Akzeptanz nötig: Wenn die Verteilnetzbetreiber (VNB) die vom Fahrzeug zurückgespeiste Energie eben so flott entschädigen, wie sie Rechnungen für Spitzenleistungen ihren Industriekunden stellen, dann wird das Interesse bei den E-Mobilisten sicher geweckt.
Praxis mit Solarmanager
Der Solarmanager ist eine einfach zu integrierende Steuerung zur Lastoptimierung. Da lassen sich PV-Wechselrichter, Speicher, Wärmepumpen, Waschmaschinen, Warmwassererzeuger und auch Ladestationen integrieren. Mit bidirektionalen Ladestationen, wie zum Beispiel von der Schweizer Firma EVTec AG in Kriens-Obernau, kann überschüssige Energie aus dem Fahrzeug ins Netz eingespeist werden. Der Solarmanager übernimmt das Lastmanagement und steuert über das LAN die verbundenen Geräte, die ebenfalls im gleichen Netzwerk eingebunden sind.
Die Abbildung 1 stammt von Solarmanager.ch und zeigt ein 24h-Zyklus eines EFH mit einem rückspeisefähigen Elektroauto am 11-12 Februar 2022. Die PV-Anlage produziert auch im Winter Überschuss, der mit dem Speicher in die Nacht verlagert wird.
Legende zu Abbildung 1
Hellblau: Wärmepumpe
Dunkelblau: Netzbezug
Hellblau: direkter Verbrauch (Eigenverbrauch)
Dunkelgelb Produktion PV (Differenz zu Hellgelb: Rückspeisung)?
Hellgelb: Laden stationäre Batterie
Weisse Linie: SoC der stationären Batterie und des Honda e zusammen
Rote Linie: Warmwassertemperatur des Boilers mit rechts in der Ordinate der Temperaturskala.
Unten in der Grafik:
Grün schraffiert: Entladen der Batterie
Rot schraffiert: Laden der Batterie
Die PV-Anlage lädt den stationären Speicher mit Sonnenenergie bis etwa 15:30 Uhr (SoC in weiss) und beginnt danach mit dem Entladen um den Bedarf zu decken. Dann kommt der Besitzer nach 18:00 Uhr mit dem Elektroauto nach Hause und steckt es ein. Die bidirektionale Ladestation EVTec Sospeso & Charge kommuniziert mit dem Solar Manager und dieser rechnet aus dem SoC des Autos und des stationären Speichers einen neuen kombinierten Speicherwert. Somit steigt der SoC von 40% auf über 85% an. Danach wurde über Nacht in der Priorität das Auto zuerst entladen, weil am Morgen um 6:30 Uhr (siehe Abb. 1 Sprung nach unten) der Besitzer zur Arbeit fährt und das Auto dort erneut mit PV-Energie geladen wird. Wäre der Arbeitsweg länger, könnten einfach die Prioritäten im Solarmanager anders gesetzt werden. Die Batterie des Autos kann so flexibel eingesetzt werden um die solare Stromnutzung zu maximieren.
Einbindung über ein DC-Link 850 Volt
Ein ganz anderer Weg geht die Firma Innov.Energy AG mit ihrem DConnect als selbstgeregeltes DC-Microgrid: PV-Anlagen speisen über DC/DC-Wandler mit MPPT auf einen DC-Link. Daran können die DC-Ladestationen, Salz-Natrium-Batterien, Elektrolyseure über entsprechende DC/DC-Wandler angeschlossen werden. Auch USV-Funktion ist damit möglich, in dem ein Wechselrichter konventionellen 400 Volt Drehstrom bereitstellt. Gegenüber dem Netz ist ebenfalls ein Wechselrichter die Schnittstelle. Die Lösung ist extrem skalierbar von 100 kW bis 1 MW2 mit Ladestationen bis 150 kW. Das Konzept ist interessant und vergleichbar mit der Idee der DC-Fabrik, welche in Heft ET07/21 beschrieben wurde, denn hier ergeben sich noch mehr Nutzenpotenziale, wie die Rückgewinnung von Bremsenergie und andere Regelarbeit.
Plug and Charge
Die langjährigen E-Automobilisten können ein Klagelied über die umständlichen Starts von Ladevorgängen singen. Nicht so offenbar Tesla-Fahrer, denn nirgends soll das Laden einfacher sein als an den Superchargern. Das System ist jedoch proprietär. Seit einigen Jahren gibt es jedoch die Norm ISO 15118. Das Zauberwort heisst Plug and Charge (PnC). Fahrzeuge und Ladeinfrastrukturen die nach dieser Norm PnC-fähig sind, haben eine benutzerfreundliche und sichere Schnittstelle, über welche die Fahrzeuge von der Ladestation erkannt werden und so eine individuelle wiederholte Autorisierung bei jedem Ladevorgang überflüssig wird. Nach einer einmaligen Registrierung identifiziert sich das Fahrzeug und autorisiert sich im Namen des Fahrers automatisch an der Ladestation nach dem das Ladekabel eingesteckt ist. Diese Norm ist auch der Schlüssel zur Einbindung der Elektromobilität in das Verteilnetz (V2G). Die Herausforderungen der kommenden Jahre liegen vor allem darin, dass erstens verschiedene Versionen vorliegen bzw. entwickelt werden, zweitens, dass weitere Bausteine im Ökosystem Elektromobilität zu entwickeln sind und drittens, dass die Nutzung durch mehrere Marktrollen ermöglicht wird und dass es dafür noch keine etablierten Marktprozesse gibt. In Deutschland wurde dazu im Jahr 2020 eine Roadmap entwickelt um diese Probleme anzugehen.
Fazit
Die Elektromobilität hat mit V2X ein riesiges Potenzial, netzdienlich zu sein. Aber dazu müssen Fahrzeuge bidirektional laden und mit ihren Ladestationen kommunizieren können. Ein Appell an die Politik: Die Rückliefer-Tarife der VNB müssen deutlich attraktiver werden. Insbesondere muss auch der Leistungspreis grosszügig vergütet werden.
Quellen
EVtec AG, Kriens-Obernau, EVtec.ch
Solar Manager AG, Muri, Solarmanager.ch
Roadmap zur Implementierung der ISO 15118
Innovenergie AG in Meiringen innov.energy
ENTSO-E Operation Handbook, Policy 1, Load-Frequency Control and Performance, 2009 A-D4.7
A. Sauer (Hrsg) Die Gleichstromfabrik, Hanser, 2020
Bildnachweis:
Titel: Bidirektionale Ladestation EVTec
Abb. 1: Solarmanager mit Erläuterungen
Abb. 2: Prinzip ein DC-Systems M. Gehrig