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Erzeugungsanlagen am Netz

Wie verhalten sich PV-Anlagen am Netz? Was passiert, wenn das Netz ausfällt? Nützt eine PV-Anlage bei einem Blackout? Wie kann eine PV-Anlage als Ersatzstromquelle verwendet werden? Was muss ich beachten. Fragen um die Netzanbindung von Photovoltaikanlagen, die oft zu Diskussionen führen, werden hier beantwortet. Die Normen und Richtlinien regeln hier am Problem vorbei: Weniger wäre mehr.

In medias res

Über kurz oder lang gehören Eigenstromerzeugungsanlagen zu fast jedem Gebäude. Die Funktionalitäten in diesen Bereichen steigen und damit auch die Ansprüche der Kunden. Es sind kreative, individuelle und gut durchdachte Lösungen gefragt. Misslungene Normen und Richtlinien behindern gute Lösungen um die Erzeugungsanlagen. Die Normierung im Anwendungsbereich soll generell abstrakt bleiben und sich auf die Zielsetzung beschränken, während die Lösungsfindung davon getrennt in der Privatwirtschaft stattfinden soll.


Um die Versorgungssicherheit sicher zu stellen, ist es unerlässlich, die Verhaltens- und Arbeitsweise der unzähligen Energieerzeuger, die ans Netz angeschlossen werden, zu koordinieren und zu reglementieren. Im Jahr 2005 hat der deutsche Verband der Netzbetreiber VDN in seiner damaligen Richtlinie Eigenerzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz unter anderem verlangt, dass bei einer Überfrequenz von 50.2 Hz eine Abschaltung erfolgt. Viele andere Länder, so auch die Verteilnetzbetreiber der Schweiz (VSE) übernahmen die Vorgabe.

50,2-Hz-Problem

Mit der rasant steigenden Zahl an PV-Anlagen nahm das Risiko eines Stromausfalles zu, falls die Frequenz über über 50.2 Hz steigen sollte, da keine genügende Kraftwerksleistung zur Verfügung stand, wenn plötzlich 25 GW installierte Photovoltaik-Leistung weggeschaltet würden. Denn das ist weit über der gesamten Primärleistungsreserve. Dieses Phänomen ging als 50,2-Hz-Problem in die Geschichte der Fachwelt ein und führte schliesslich in Deutschland zur Systemstabilitätsverordnung im Jahr 2012, die vorschrieb, dass die Bestandsanlagen umgerüstet werden müssen und die im Jahr 2011 erstmals erschienene technische Anwendungsregel AR-N 4105 verbindlich erklärte. Seither müssen die Wechselrichter die Erzeugungsleistung mit zunehmender Frequenz die Leistung drosseln, jedoch nicht vom Netz trennen. Der VSE zog 2014 nach und veröffentlichte erstmals seine NA-EEA. Sinngemäss galt das natürlich auch für Anlagen, die an höhere Netzebenen angeschlossen waren. Heute ist das korrekte Verhalten von PV-Anlagen in der Normenreihe IEC 50549 und in den Regelwerken NA-EEA 2020 des VSE geregelt, wie sich PV-Anlagen verhalten sollen.

PV-Anlagen wie auch andere Anlagen zur Stromerzeugung hatten bis 2011 ein netzfolgendes Verhalten, bezüglich Netzstabilität waren sie passiv eingebunden. Seither bis heute haben sie ein netzunterstützendes Verhalten und übernehmen Führung, indem sie Störungen entgegenwirken. So müssen sie je nach Leistungsfähigkeit und Art das Netz bei Unterfrequenz stützen und bei Überfrequenz die Leistung in Funktion der Frequenz (P(f)-Regelung) reduzieren. Darüber hinaus müssen sie auch in der Lage sein, kurzzeitige Netzfehler zu durchlaufen (Fault ride through) und die Spannung durch die Blindleistungsregelung zu stützen. Die Entwicklung geht weiter, sodass in Zukunft die Wechselrichter nicht nur dem Netz folgend, sondern selber netzbildend sein werden.

Ursprünglich vom Netz geführt

Der Wechselrichter für den Betrieb am Netz hat im Wesentlichen die Aufgabe, die Kennlinie des PV-Generators optimal auszufahren, damit eine möglichst grosse Leistung in das Netz eingespeist werden kann. Die Regelstrategie heiss Maximum-Power-Point-Traking (MPPT). Am Netz angeschlossen ist er vielen Gefahren ausgesetzt. Besonders Vektorsprünge und schnelle Frequenzänderungen können einem Wechselrichter schwere Schäden zuführen. Aus diesen Gründen hat der Wechselrichter einen internen, nicht abschaltbaren NA-Schutz. Diese Schutzeinrichtung verhindert auch das ungewollte Inselfahren, wenn das Netz ausfällt. Der Wechselrichter braucht also ein in bestimmten Grenzen stabiles Netz als Führung. Innerhalb dieser Grenzen ist der Wechselrichter auch in der Lage, zur Netzstabilität beizutragen.

Nun gibt es auch sogenannte Hybrid-Wechselrichter. Das Wort hybrid bezieht sich auf die beiden möglichen Betriebsarten Netz- und Inselbetrieb. Er hat einen DC- oder AC-seitigen Speicher, der intern oder extern angeordnet sein kann.

Inselfähigkeit kann aber auch durch PV-Anlagen zusammen mit einem AC-gekoppelten Speichersystem, das inselfähig ist, erreicht werden. Sind mehrere Anlage im Verbund inselfähig, so werden sie im Master-Slave-Betrieb geführt. In einen solchen Verbund kann auch ein Dieselnotstromaggregat mit Synchronisierung eingebunden werden. Es ist jedoch nicht möglich, mit einer kleinen Dieselnotstromanlage und gewöhnlichen netzgekoppelten Fotovoltaikanlagen ein Inselverbund zu betreiben. Der Grund liegt in der bleibenden Regelabweichung der Drehzahlregelstrecke des Dieselmotors oder des Ottomotors. Bei der ersten Laständerung würde der interne NA-Schutz des Wechselrichters ansprechen.

Richtig einbinden

Bei der Einbindung von Erzeugungseinheiten stellt sich immer die Frage, was soll mit dem Sternpunkt geschehen und wo wird dieser geerdet. Denn die Sternpunkterdung ist so eine Sache wie bei Highlander: Es kann nur einen geben.

Beim Hausanschlusskasten oder in der Hauptverteilung ist der ankommende PEN-Leiter geerdet. Wird nun irgendwo im Gebäude oder auf dem Areal eine Eigenstromversorgung installiert, darf der Sternpunkt dort nicht geerdet werden, da sonst zwei Sternpunkterdungen wirksam werden und die Rückleiterströme über die Erde fliessen.

Der Kuppelschalter muss alle aktiven Leiter schalten, so will es die Norm (Ziff. 4.13, Abs. 6 und 7 EN 50549-1). Das schränkt die konzeptionellen Möglichkeiten stark ein gegenüber Notstromanlagen oder BHKW etc. denn für diese Anlagen sind keine 4-poligen Schalter gefordert.

Die vierpolige Trennung ist dort gefordert, wo der NA-Schutz als einfehlersichere Abschaltung einwirkt. Falls der NA-Schutz nicht auf den Kuppelschalter, sondern auf den Schalter der Erzeugungseinheit wirkt, gilt Obiges eben für diesen Schalter. Kompliziert? Ja, wirklich. Die Überregulierung in diesem Bereich muss dringend abgebaut werden. Die Sache wird mit der unglücklichen ESTI-Weisung 220 nicht besser. Dort werden wieder andere Begriffe verwendet als in der Norm 50549-1. Die ESTI-Weisung bezieht sich auf die die VSE-Branchenempfehlung NA/EEA-NE7 – CH 2020 und diese wieder um auf die frühere ESTI-Weisung 219. Im VSE-Dokument ist explizit ein allpoliger (inkl. Neutralleiter (sic!)) Kuppelschalter verlangt (Ziff. 7.3.1 Abs. 2)

Abbildung 1: Darstellung einpolig in Anlehnung an die Norm EN 50549-1

In Abbildung 1 ist die Situation gemäss Norm 50549-1 dargestellt. Zeichnet man dies nun allpolig ergibt sich die Abbildung 2. Wenn hier der Kuppelschalter wie gezeichnet 4-polig ausgeführt wird, dann würden im Inselbetrieb die Verbraucher plötzlich als IT-Netz versorgt, das ist äusserst fragwürdig. Daher gibt es Produkte, die im Inselbetrieb intern einen Sternpunkt bilden. Das ist eine saubere Lösung, wenn es nur eine einzige Erzeugungseinheit gibt. Wenn mehrere Erzeugungseinheiten mit isoliertem Sternpunkt vorhanden sind, gibt es eine andere gangbare Lösung: Man verlegt den NA-Schutz in die Schalter der Erzeugungseinheiten und macht den Kuppelschalter 3-polig. Die Schalter der Erzeugungseinheiten müssen aber dann 4-polig sein, warum auch immer. Siehe dazu Abbildung 3.

Abbildung 2 Erzeugungseinheit mit Sternpunktbildner im Inselbetrieb

Abbildung 3: Sichere Lösung mit 3-poligem Kuppelschalter

3- oder 4-polige Schalter

Eine sachliche Begründung, warum 4-polige Schalter vorgeschrieben werden, ist nicht allgemein bekannt. Wer dazu mehr weiss, schreibt das bitte gerne in die Kommentare. Das manchmal diffus angegebene Argument, für die EMV sei das besser, kann eindeutig widerlegt werden: Erzeugungsanlagen sind praktisch immer eingeschaltet. Ist der Schalter geschlossen, spielt die Anzahl Pole keine Rolle. Auch die Netztrennung kann kein Grund sein. An einem geerdeten Neutralleiter entstehen auch keine gefährlichen Spannungen. Netze nach dem System TN-S werden grundsätzlich 3-polig geschaltet. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen (z. B. RCD). Diesen Grundsatz sollte man nicht unbegründet ausdehnen, denn sonst werden die ohnehin schon überregulierten elektrischen Anlagen in Zukunft gefährlich.

Der Planer muss also wissen, wie sich der Wechselrichter im Inselbetrieb verhält. Daraus kann er die richtig Wahl beim Kuppelschalter (Abb. 1 ) treffen.

Wechselrichter
schaltet Sternpunkt im Inselbetrieb
Wechselrichter
mit isoliertem Sternpunkt
Kuppelschalter4-polig
damit im Inselbetrieb nicht zwei sternpunkte wirksam werden.
3-polig
damit im Inselbetrieb kein IT-Netz entsteht.
Ext. NA-SchutzAuf Kuppelschalter wirkendAuf Schalter der Erzeugungseinheiten wirkend, um 4-polige Abschaltung zu gewährleisten.
Tabelle 1: Kriterien für die Wahl des Kuppelschalters

Bei aller Kritik enthält die ESTI-Richtlinie 220 auch eindeutig richtige Aussagen: Im Kapitel 10 Inselanlagen ist der folgende Satz zu finden:
«Erdung und Nullpunktbehandlung müssen so ausgelegt sein, dass ein für Personen, Nutztiere und Sachen sicherer Betrieb, welcher den aktuellen gültigen Regeln der Technik entspricht, gewährleistet ist. Die Spannungs- und Frequenzregulierung muss den normierten Toleranzbereichen entsprechen.»
Das gilt natürlich nicht nur für Inselanlagen, sondern ganz generelle für jede elektrische Starkstromanlage. In einer konkreten Abhandlung wirken solche ausweichenden generell-abstrakten Formulierungen schwerfällig und tragen nichts zum Verständnis bei.

Die Normierung neigt zu Überregulierung, die sich in lösungsartigen Regeln konkretisiert. Das führt zu Kochbuch-Denken. Was im Kochbuch steht, ist richtig. Ob die Lösung dann auch gut ist, tritt allmählich in den Hintergrund. Die Normenkenntnis darf das Fachwissen nicht verdrängen. Mit dem Fachwissen entwickelt man Lösungen und mit den Normenkenntnissen überprüft man die Konformität der Lösung.

Konzept vs. Kochbuchlösung

Wenn Köche von Gournetrestaurants streng nach allgemein bekannten Kochbüchern kochen würden, dann müsste das Restaurant nur noch das Kochbuch nennen, nach dem gekocht wird. Der Koch wäre austauschbar. Wenn Planer nur noch vorgekaute Lösungen bauen, braucht es keine Fachleute mehr. Bei den erneuerbaren gibt es noch grosses Entwicklungs- und Optimierungspotenzial bei den Konzepten. Vieles ist heute zwar normkonform aber wirtschaftlich und betrieblich suboptimal umgesetzt.

4 Gedanken zu „Erzeugungsanlagen am Netz“

  1. Hallo Markus

    Vielen Dank für die spannenden Beiträge. Für mich zusätzlich verwirrend ist das SNG 491000 2110a wo darüber schreibt, dass ein 4Poliger Schalter bei USV-Anlagen EMV-Probleme löst.
    Ich finde es aber speziell, dass bei all Ihren Zeichnungen der Neutralleiter der USV geerdet ist. Diesen Kontakt könnte doch einfach geöffnet werden und der Stromfluss im Bild 1 wäre unterbrochen. Oder mache ich gerade ein Denkfehler?

    1. Hallo Riccardo
      Vielen Dank für Dein Feedback. In diesem kommentierten Artikel geht es zwar nicht um USV-Anlagen, sondern um Erzeugungseinheiten. Der Artikel über die USV und 3- oder 4-polige Schalter war bisher nur in der ET Elektrotechnik (6/22) publiziert.

      Die SNG 491000 2110a befasst sich mit dem 4-poligen Schalter bei USV-Anlagen und wird demnächst zurückgezogen, weil sie fehlerhaft ist. Das habe vor bald zwei Jahren schon bemängelt. Diesen Herbst soll es aber soweit sein. Der vierpolige Schalter löst nur in ganz wenigen Fällen EMV-Probleme. Bedenke, dass ein geschlossener 4-poliger Schalter absolut dasselbe ist wie ein geschlossener 3-poliger Schalter. Die besagte SNG hätte nie publiziert werden dürfen, denn sie beruht auf falschen Annahmen und Argumentationen, die nicht fehlerfrei begründet sind. Ich wurde deswegen im TK64 vorstellig, wo ich meine Darlegung argumentiert hatte. Ich werde dazu in kommender Zeit noch etwas in die Tasten hauen. Aber erst gegen Ende Jahr, nachdem die besagte SNG (hoffentlich) endlich Geschichte ist.

      Der Neutralleiter ist immer an einem einzigen Ort geerdet. Ist das nicht der Fall, liegt kein TN-Netz vor. Ist der Neutralleiter an mehreren Orten geerdet, fliessen Rückleiterströme über die Erde, was EMV-Probleme hervorruft. In verschiedenen Publikationen in der ET habe ich schon dazu geschrieben, wie man das löst. Hier auf Power-Affairs bin ich noch etwas im Rückstand.

      Elektrisierende Grüsse
      Markus

      1. Aber auf die eigentliche Frage bin ich noch nicht eingegangen. Ich glaube, ich habe sie auch nicht ganz verstanden. Im Abb. 1 sind keine Kontakte, sondern Schalter gezeichnet. In der App. 2 ist rot ein Sternpunktbildner gezeichnet. Wenn Du den meinst, dann ist das so: Der rot gezeichnete Sternpunktbildner ist im Inselbetrieb geschlossen (damit bei offenem 4-poligen Netzkuppelschalter eine Sternpunkterdung wirksam ist) und im Netzparallelbetrieb offen (damit bei geschlossenem Netzkuppelschalter nicht zwei Sternpunkterdungen wirksam sind).

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