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Leistungsschalter 2023

Das Bild zeigt offene Leistungsschalter drei verschiedenen Baugrössen der Firma Siemens

Alle zwei Jahre ein Update über Leistungsschalter hier auf power-affairs.ch. Anwendungspraxis, neue Funktionen und allerlei Wissenswertes.

Leistungsschalter kosten richtig viel Geld. Dagegen sind die Schmelzsicherungen ein Schnäppchen. Und dazu kommt noch die kostspielige Wartung der Leistungsschalter hinzu. Was von diesen Behauptungen noch richtig ist, lesen Sie in diesem Artikel.

Soll ein Leistungsschalter wirklich alle fünf Jahre gewartet, also auseinandergebaut und revidiert werden? Ja das trifft bei den offenen Leistungsschaltern zu. Diese können durch eine ausgewiesenen und vom Herstellerwerk autorisierten Fachperson oder Fachfirma revidiert werden. Eine solche Revision beinhaltet im Wesentlichen die Reinigung der Kontaktelemente, Löschkammern, Schmierung der Mechanik und Prüfung des Federaufzugs und falls vorhanden auch der Antriebsmotor. Ausserdem wird der Auslöser auf seine Funktion inspiziert. Das trifft also auf die grossen ACB zu, die meistens im Strombereich über 1000 Ampere eingesetzt werden. Schalter dieser Bauart gehören fast immer der Selektivitätskategorie B an und sind daher für Zeitselektivität geeignet. Die Kurzschlussverzögerungen können da gut und gerne 300 bis 500 ms betragen. Solche ACB die einen Kurzschluss abgeschaltet haben, sollten sofort revidiert werden. Aber wie sieht es mit all den vielen Kompaktleistungsschaltern aus? Der Blick in die Kataloge gibt eine eindeutige Antwort: Diese Schalter sind wartungsfrei. Eine Wartung daran ist nicht vorgesehen und das Öffnen kann Beschädigungen verursachen und führt in jedem Fall zum Verlust der Gewährleistung. Das Drücken einer Prüftaste, das Anschliessen eines Prüfgerätes oder Computer und das visuelle Prüfen eines Schalters ist weder eine Revision noch eine Wartung, sondern eine Inspektion. Eine Inspektion ist grundsätzlich bei jedem Schalt- und/oder Schutzgerät sinnvoll, wenn es eine gewisse betriebliche Wichtigkeit oder ein besonderes Gefahrenpotenzial besteht. Die allgemeine Pflicht dazu erwächst aus der Starkstromverordnung und betrifft nicht nur Leistungsschalter.

Trennung von Schutzauslöser und Schalteinheit

Hingegen ist im Lichte der Kreislaufwirtschaft durchaus zu kritisieren, dass Schalter nicht mehr wartbar sind. Denn die mechanischen Komponenten könnten deutlich länger im Betrieb bleiben weil sie technisch nicht so sehr veralten und durch die präventive Instandhaltung länger fit bleiben. Die Trennung von Schalt- und Schutzgeräten wie in der Hochspannung üblich, kommt nun allmählich in der Niederspannung auch. Das könnte dazuführen, dass die stark technologiegetriebenen Schutzgeräte häufiger gewechselt werden, als der mechanische Teil der Leistungsschalter. Das setzt natürlich voraus, dass Ersatzteile bis über 30 bis 40 Jahre erhältlich sind. Erste abgesetzte Schutzgeräte, welche Schalter auch von anderen Fabrikaten auslösen können, sind von ABB auf dem Markt.

Abb. 1: ABB Ekip-Up Schutzauslöser

Was ABB seit Jahren im Programm hat und in der nächsten Ausgabe der Produktnorm IEC 60947-2 im Anhang L als Klasse W aufgenommen wird, haben die anderen Hersteller noch nicht: Schutzgeräte die auf jeden Leistungsschalter passen.

Der mechanische Teil von Kompaktleistungsschaltern weitgehend ausgereift. Hier ändert sich nicht mehr viel. Bei ABB und Schneider Electric sind pro Pol zwei in Serie geschaltete Löschkammern verbaut, etwa wie das in der Modellzeichnung Abb. 2 dargestellt ist. Das verlängert den wirksamen Lichtbogen drastisch und erhöht somit die Lichtbogenspannung, was bei sehr hohen Kurzschlussströmen zu einer sehr starken Energie- und Strombegrenzung führt.

(Bild 2)

Querschnitt durch die Löschkammern eines MCCB. In der Mitte der Schaltfinger auf der Schaltachse. Links und rechts die Löschkammern
Querschnitt durch die Löschkammern eines MCCB. In der Mitte der Schaltfinger auf der Schaltachse. Links und rechts die Löschkammern

Abb. 2: Schnitt durch MCCB

Ganz anders sieht es bei den Schutzauslösern aus. Hier gibt es einen Trend hin zur Vernetzung und stärkeren Integration in die Leittechnik. Um einen Schalter über Modbus-RTU oder Modbus-TCP in die Leittechnik einzubinden, gibt es bei allen grossen Herstellern Auslöser, die über eine solche Lösung verfügen. Damit lassen sich Messdaten und Schalterdaten übertragen. ABB hat sogar ein standardisiertes Protokoll für alle Schalter, so dass die Schnittstelle einfach in die Leittechnik integrierbar ist. Will man Schalter auch ansteuern können und ereignisorientierte Reaktionen der Schalter implementieren, ist eine Kommunikation nach IEC 61850 erforderlich. Da bieten ABB, Schneider Electric und Siemens Lösungen. Dass sich bisher die Kommunikation über IEC 61850 noch nicht durchgesetzt hat, liegt vor allem in den unteren Layern des ISO-OSI begründet. Hier fehlen den Integratoren die grundlegenden Kenntnisse in redundanter Netzwerktechnik. Was in der Gebäudeleittechnik noch genügt, reicht bei Schaltanlagenleittechnik mit aktiver Schaltung über das Netzwerk bei weitem nicht. Kunden lehnen die aktive Schaltung über das Netzwerk ab und nennen Netzwerkprobleme. Netzwerkprobleme sind Konzeptions- und Konfigurationsprobleme, praktisch nie EMV-Probleme. Die Technik ist da und nach 20 Jahren auch richtig ausgereift, die Projektnachfrage ebenfalls. Aber das Fachwissen ist in der Schweiz noch sehr dünn gesäht. Wer in die Nische springt und in der Lage ist, mit PRP und HSR ein völlig unterbrechungsfreies hochverfügbares Netz aus IEDs zu konfigurieren, welches dann auch noch die Zugangsrichtlinien sauber, transparent und rollenbezogen einrichtet, der ist der Konkurrenz bei den Integratoren ein grosses Stück voraus.

Vernetzt mit der Leittechnik oder als IoT in der Cloud

Bis das so weit ist, kann man die Schalter der Siemens, Schneider Electric, Eaton, ABB und anderen als IoT verwenden und über eine Cloud-Anbindung auf proprietärem Weg eine erweiterte Funktionalität für die Wartung und Inspektion und Instandsetzung nutzen. Da kann man von einem Megatrend sprechen, den die grossen Elektrotechnikkonzerne seit einigen Jahren vorantreiben. In Zukunft werden auch hier nur noch Funktionen verkauft, das Gerät spielt eine völlig untergeordnete Rolle. Bei ABB kaufe ich einen Schalter mit einem EkipTouch-Auslöser und der hat hardwaremässig schon alles drin, um auch ein Power-Analyser zu sein, Schutz richtungsabhängig zu gewährleisten und zu verriegeln oder unterschiedliche Parametersätze für verschiedene Betriebssituationen zu konfigurieren, bis hin zum Generatorschutz wie zum Beispiel einen ROCOF-Fehler zu erkennen und vieles mehr. Die Funktionen werden über den Webshop gekauft und im Gerät freigeschaltet, auch Jahre später, wenn auf einmal eine Funktion gebraucht wird.

Hager kündigt auf Anfrage an, nächstes Jahr auch Schutzauslöser mit Bildschirm und angepasster Bedienung anbieten zu können.

NA-Schutz

Auch der NA-Schutz kann mit Leistungsschaltern statt mit Schützen gemacht werden. Aber egal ob man Schützen oder Schalter verwendet, es ist eine Pufferung für 3 Sekunden nötig, damit das Ganze vorschriftsgemäss funktioniert. Denn sonst könnte der Unterspannungsauslöser oder das Schütz zu früh und unkontrolliert abfallen, was fatal für die Netzstabilität wäre. ABB und Hager bieten dazu entsprechende Musterschemas. Der Leistungsschalter ist gleichzeitig NA-Schutz und Leitungsschutz. Mit einer Schmelzsicherung ist braucht es zusätzlich noch ein Schütz oder einen Leistungsschalter ohne Schutzauslöser und das ist insgesamt deutlich teurer.

Weitere Funktionen wie Wartungsschaltungen sind bei allen grossen Schalterherstellern (SE, Siemens, Eaton, ABB) erhältlich. Mit der Wartungsschaltung kann auf Befehl, wenn sich zum Beispiel Personen im Schaltanlagenraum sind, Türen geöffnet sind oder ein Wartungsschalter betätigt wird, die Kurzzeitverzögerung sämtlicher Kurzschlussauslöser automatisch reduziert werden, um die Folgen eines Kurzschlusses für die Personen geringer zu halten. Bei besonders hohen Kurzschlussleistungen ist das zu empfehlen.

Wo die Schmelzsicherung an Grenzen kommt

Sind die Kurzschlussströme sehr gering, schaltet die Schmelzsicherung nicht genügend schnell ab. Zur Abschaltung innert 0.4 Sekunden braucht eine Schmelzsicherung mindestens den 10-fachen Nennstrom, um sicher abzuschalten. Für die Abschaltung in 5 Sekunden sind immerhin noch der 6.3-fache Nennstrom (vgl. ET4-2023) erforderlich. Der Leistungsschalter mit einem elektronischen Auslöser kann je nach Fabrikat und Typ in mehr oder weniger engen Stufen bis hin beliebig auf das Ampere genau eingestellt werden. Das spart auch Kabelquerschnitt. Oft kann bezüglich der Belastbarkeit das Kabel um eine Stufe tiefer gewählt werden. Das macht besonders bei überdimensionierten Leitungen (zum Beispiel aus Redundanzüberlegungen bei RZ oder bei nur gelegentlich hoch belasteten Leitung)

Und das geht definitiv besser

Alle grossen Hersteller verkündigen grossmundig die digitalen Fähigkeiten, wie bereits beschrieben. Schaut man sich nun aber die Internetseiten an, auf denen die Produkte angepriesen werden, zeigt sich bei allen mehr oder weniger ein trübes Bild:
Grundsätzlich gilt: Was Google nicht findet, entdeckt auch kein Kunde. Konfiguratoren: Wenn man die lieferantenspezifischen Bezeichnungen und Abkürzungen nicht kennt, ist man vielmals verloren, erklärende Texte fehlen, oft mangelt es für die Evaluation an dringend benötigten Preisangaben. Herunterladbare Konfigurationstools, die lokal installiert werden müssen, sind oldschool und von vorgestern. Die Kritik mag hart klingen, aber es geht hier ja um Hightech-Produkte.

Das Bild zeigt einen Kompaktleistungsschalter der Firma Schneider Electric. Der Leistungsschalter hat unten einen elektronischen Auslöser verbaut, bei dem die Einstellwerte über Drehschalter (sieht aus wie ein Drehpotentiometer) bestimmt werden können. Es ist auch ein einfaches LCD Display vorhanden.

Abb. 3 Kompaktleistungsschalter

High-End

Die Zukunft gehört den Halbleiter-Leistungsschaltern jetzt auch in der Niederspannung und ganz besonders in der Gleichstromtechnik. Gleichstromnetze sind kapazitiv, daher sind Schaltgeräte extrem hohen Stromanstiegsgeschwindigkeiten im Kurzschlussfall ausgesetzt. Ein Halbleiter-Leistungsschalter ist in der Lage, einen Kurzschluss innert 10 Mikrosekunden abzuschalten, wogegen ein konventioneller Leistungsschalter mehr als 1000-mal so lang benötigt. Letztere müssen einen Lichtbogen löschen, was besonders in der Gleichstromtechnik wegen des fehlenden Nulldurchganges anspruchsvoll ist. Bei einem Halbleiter-Schalter entsteht nur ein sehr geringer Schaltlichtbogen. Aber auch für die Wechselstromtechnik eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten bei der selektiven Staffelung. ABB hat seit 2022 den ersten Infinitus genannten Halbleiterleistungsschalter nach IEC 60947-2 auf dem Markt. In den IEC-Gremien ist derzeit der Normenentwurf spezifisch für Halbleiterleistungsschalter auf dem Weg.

Abb. 4 Halbleiterschalter

Markus Gehrig
MG Power Engineering AG
Dozent an der HF und Lehrbeauftragter an der HSLU
Tech-Blog: power-affairs.ch und power-engineering.ch

2 Gedanken zu „Leistungsschalter 2023“

  1. Wo die Schmelzsicherung (nicht) an Grenzen kommt.
    Die Abschaltzeit einer Schmelzsicherung wird durch die Betriebsklasse oder umgangssprachlich „Charakteristik“ bestimmt. Eine Sicherung der Betriebsklasse gR ist viel „schneller“ als zum Beispiel der Betriebsklasse gG dadurch wird nicht nur die Zeit bis zur Auslösung verkürzt sondern die gesamte „Durchlassenergie“ welche für die Zerstörung und Verletzungsgefahr maßgebend ist auf ein „kontrollierbares“ Maß gesenkt.
    Die richtige Auslegung der Schmelzsicherungen garantiert den gewünschten Schutz in der Anlage und ist „fix“. Aus unserer Sicht ist diese Lösung sicherer als ein einstellbarer Leistungsschalter der mit einer falschen Einstellung die Schutzwirkung verlieren kann.

    1. Ja das ist richtig, die gR Sicherung ist für Halbleiter konstruiert. Halbleiter haben ein deutlich geringeres Grenzlastintegral als Kabelleitungen, daher begrenzen sie die Energie deutlich stärker. Allerdings lässt sich ein Leistungsschalter mit elektronischem Auslöser für sehr geringe Kurzschlussströme exakt einstellen, damit eine sehr schnelle Abschaltung möglich ist. Ein falsch eingestelltes Schutzgerät oder eine falsch gewählte Sicherung (z.B. eine Teilbereichssicherung an Stelle einer Ganzbereichssicherung) ist in jedem Fall fatal. Sowohl die Bedienung eines Leistungsschalters oder einer NHS-Sicherung erfordert Fachwissen und ist daher für Laien nicht zugelassen.

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