An den Hochschulen werden ohnehin nur Theoretiker ausgebildet, die man die ersten drei Jahre nicht richtig einsetzen kann, bis sie endlich das Handwerk verstehen. Das Land braucht Praktiker, die wissen wie man rasch eine Lösung erarbeitet und nicht Akademiker, die um das Problem herum eiern. Und überhaupt, theoretisch gehe vieles, was praktisch nie funktionieren würde, bekomme ich manchmal zu hören von Praktikern und sehr konservativen Politikern. Das Handwerk und Gewerbe sei tragend in unserem Land und die Akademiker würden nur Geld kosten.
Short
Die Absolventen gewerblicher Ausbildungen können unmittelbar im Betrieb gewinnbringend eingesetzt werden. Dagegen sind Absolventen einer Hochschule in der Lage neue Technologien zu entwickeln und auch zukünftige Technologien anwenden.
Die Ausbildungen zum Gebäudetechnikingenieur, Fachrichtung GEE oder HLKS, ist für die Gebäudetechnikbranche besonders wertvoll, weil sie beides kombiniert:
Die Absolventen können sofort produktiv eingesetzt werden, beherrschen aber zudem auch neue Technologien, die erst an der Schwelle des praktischen Einsatz stehen. So gesehen sind Utopie und Praxis Gegenspieler, die – gut kombiniert – den Fortschritt in sich tragen.
Der Artikel wurde in ET01/21 veröffentlich und hier leicht editiert dargestellt.
Mit dem Ausspielen von Praxis gegen Theorie kommen wir aber nicht weiter. Denn genau genommen stimmen die Theorie und die Praxis immer und ausnahmslos überein, denn jede Theorie hat irgendwann eine Praxisüberprüfung bestanden, sonst wäre sie nie zu einer Theorie geworden. Aber warum stimmt denn dieser Spruch doch manchmal?
An der Hochschule Luzern ist seit zwei Jahren das GEE Live Lab, ein modular nutzbares Praxislabor in Betrieb. Auf kleinstem Raum sind viele Komponenten eines Gebäudes konzentriert: Eine Lüftung, eine Heizung, eine Kühlung und eine Warmwasseraufbereitung sowie die elektrotechnischen Ausrüstungen zur Steuerung, Regelung und Lastoptimierung. Auf dem Dach ist eine hybride Solaranlage montiert und vor dem Haus eine Ladestation für Elektroautos, E-Bike und E-Scooter. Hier wird praktisch geforscht wie zum Beispiel sich eine modulierte Wärmepumpe gegenüber eine normalen Wärmepumpe verhält, welche sich nur ein- und ausschalten lässt. Hier werden praktische Erkenntnisse gewonnen, deren Ergebnisse direkt in der Bauplanung umgesetzt und dann gebaut werden können.
Als ich das GEE Live Lab vor knapp zwei Jahren das erste mal mit Prof. Adrian Altenburger, Leiter des Instituts für Gebäudetechnik und Energie (IGE) an der HSLU besucht hatte, waren gerade zwei Studenten an einer Arbeit zur Lastoptimierung. Die Studenten können hier verschiedene Systeme von Lastoptimierungen unter realitätsnahen Bedingungen anwenden vergleichen und optimieren. Sie wenden dabei ihre theoretisch erworbenen Kenntnisse über die Eigenschaften und Funktionen der technischen Gebäudeausrüstung wie auch das bauphysikalische Verhalten der Gebäude an. Altenburger dazu: Der Praxisbezug ist uns sehr wichtig, um auch bereits im Studium etwas Stallgeruch für die realen Herausforderungen zu generieren.
Das Haus dient einerseits dem Erkenntnisgewinn durch angewandte Forschung und andererseits der praxisnahen didaktisch fortschrittlichen Vermittlung von theoretischem Wissen. Im Vordergrund der modernen Hochschuldidaktik steht nicht das krude Wissen, sondern das Wissen richtig anwenden, Schlüsse ziehen, analysieren und neues erschaffen können. Man spricht hier auch von höheren Taxonomiestufen die erreicht werden sollen.
Ein Beispiel: Es nützt wenig, wenn man das Ohmsche Gesetz auswendig in allen drei Umstellungen kennt, aber nicht weiss für was es gut ist und wo die Grenzen seiner Eigenschaften sind und wie man es korrekt anwendet. Denn dann entgeht einem vielleicht, dass der Widerstand sich bei einem unter laststehenden Kabel verändert oder dass ein zeitlicher Aspekt an einer Drosselspule oder an einem Kondensator einen Einfluss haben kann. Und wenn das alles bekannt ist, weiss der praktisch erfahrene Theoretiker oder theoretisch gebildete Praktiker, wann er welche Vereinfachungen zum Beispiel bei einer Kurzschlussberechnung treffen kann, darf und soll ohne dass er die IEC 909 auswendig weiss. Schon Einstein sagte, man solle seine Modelle so einfach wie möglich erstellen, aber nicht einfacher.
Ein paar Highlights
Neben den üblichen Haushaltgeräten wie Waschmaschine Tumbler, Geschirrspüler, Kombisteamer und Kochfeld ist auch eine Sonos-Musikanlage, eine Kaffeemaschine sowie ein NAS mit USV-Anlage vorhanden.
Zur gebäudetechnischen Ausrüstung gehören eine hybride Solaranlage, welche einerseits Strom und andererseits Wärme zur Unterstützung der Warmwasserversorgung dient. Eine modulierende, also leistungsgesteuerte Luft/Wasser-Wärmepumpe sowie auch zwei Wärmespeicher. Der eine Speicher dient als Pufferspeicher für die solarthermische Anlage und der andere dient der Wassererwärmung. Im Gegensatz zu einem Trinkwasserboiler wird hier das Trinkwasser nicht gespeichert, sondern das Wasser des Heizungskreises. Im Innern ist ein Rohrwärmetauscher durch den das Trinkwasser gefördert wird. Das Wasser wird also erwärmt, wenn es gebraucht wird. Weil dadurch das erwärmte Trinkwasser nie lange gelagert wird, können keine Legionellen entstehen, was die tiefere Warmwassertemperaturen erlaubt und dadurch die Arbeitszahl der Wärmepumpe erhöht wird. Ausserdem fällt weniger Kalk aus, wenn das Wasser auf deutlich weniger als 55 °C erwärmt wird.
In der Abbildung 2 ist ein vereinfachtes Schema der Anlage dargestellt, aus dem die Funktion hervorgeht. Mit den den drei Dreiwegventilen (für Elektriker: Umschalter) wird zwischen Kühl- und Heizbetrieb umgeschaltet. Im Heizbetrieb wird auch Brauchwarmwasser (BWW) erzeugt. Das geht natürlich nicht, wenn die Anlage im Kühlmodus ist, darum hat das Aufheizen von Trinkwasser Priorität. Weil das Wasser nicht auf Vorrat aufgeheizt wird, sondern nur genau dann, wenn es gebraucht wird, tut das dem Komfort keinen Abbruch. Selbst ein Leichtbaugebäude, wie das GEE-Live-Haus, ist viel zu träge, als dass die kurze Unterbrechung zu einem Temperaturanstieg führen würde.
Was natürlich auch vorhanden ist: Ja klar die PV-Anlagen auf dem Dach und an der Fassade. Auf dem Dach ist die Anlage in West-Ost-Ausrichtung mit einer Neigung von 10° angeordnet. Total 18 PV-Panel sind auf dem Dach angeordnet. Zwölf davon sind bifaciale, also zweiseitig PV-Module, was laut Hersteller Meyer Burger einen um 25% höheren Ertrag bringen soll. Die anderen sechs sind die bereits erwähnten hybriden Module, welche gleichzeitig Wärme und Strom erzeugen. Da der Strom häufig gebraucht wird, wenn die Sonne nicht scheint, muss der Strom entweder zu einem schlechten Preis ins Netz eingespeist werden oder aber zwischengespeichert werden. Das Zwischenspeichern erfolgt beim GEE-Live-Lab in Lithium-Ionen-Batterien. Damit und kombiniert mit Lastmanagementsystemen kann eine Lastoptimierung gefahren werden. Wie sich das in der Praxis realisieren lässt, haben die zwei damaligen Diplomanden Marc Häusler und Christian Purtschert in einer Studie aufgezeigt, die den Vergleich von fünf verschiedenen Systemen beinhaltete. Nachdem sie den für die Testsequenzen gültige Tagesablauf im Haus festgelegt hatten, massen sie das Lastprofil und das Erzeugerprofil und legten es übereinander (Abb. 3). Die zu realisierende Lastoptimierung soll nun möglichst hohen Eigenverbrauchsgrad und Autarkiegrad erreichen.
Für jedes System wurde die Installation eingerichtet, die Parametrierungen vorgenommen und dann gemessen und ausgewertet. Die über 100 Seiten umfassende Diplomarbeit wurde im Sommer 2019 eingereicht. Überdies wurde im Anhang das Vorgehen, die zu bewältigenden Probleme, aber auch technische Eigenschaft über die Installation und Art und Weise der Ausführung der Schaltung dokumentiert. Das ist wichtig um transparente und faire Bewertungen sicherzustellen. Die Dokumentation ist aber auch wissenschaftlich interessant. Denn das ermöglicht später Folgestudien durchzuführen, welche ein anderes Forschungsziel haben, aber ähnliche Methoden verwenden sollen.
Im Herbst 2020 besuchte ich erneut das GEE Live Lab zusammen mit Roger Buser, dem zuständigen Dozenten an der HSLU der massgeblich am Konzept und Aufbau beteiligt war. Er zeigte mir die Neuigkeiten wie zum Beispiel die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge, welche inzwischen auch realisiert wurde. Das eröffnet nochmals weitere Felder an praxisorientierter Forschung. Das bidirektonale Laden dürfte schon in wenigen Jahren realistisch sein. Das CHAdeMO-System lässt das prinzipiell bereits heute über die vorhandene CAN-Buskommunikation. Die notwendige Normen zur Kommunikation (ISO 15118) für das weit verbreitete CSS-Steckersystem ist nun seit kurzem ebenfalls vorhanden. Einige Ladestationen sind bereits vorbereitet.
Das ist anwendungsorientierte Forschung: Nach wissenschaftlichen Grundsätzen und Methoden eine praxisrelevante Untersuchung selbstständig durchführen zu können. Es stellten sich dabei durchaus auch praktische Herausforderungen, die gemeistert werden. Lehrreich in einem solchen Projekt ist auch die Erkenntnis, dass nicht alles funktioniert, was man in einem Schema zeichnen kann.
An der HSLU werden fähige HLKS-Ingenieure und Gebäudeelektroingenieure ausgebildet, welche die Theorie fundiert verstehen und in die Praxis umsetzen können.
Hintergrundinformationen
Eigenverbrauchsgrad
Der Eigenverbrauchsgrad ist das Verhältnis aus dem Eigenverbrauch des Hauses und der eigenen Stromproduktion, hier aus der Photovoltaik. Er sagt aus, wie viel der selbst produzierten Energie bilanzmässig auch selbst verbraucht wird. Er macht keine Aussage über die Gleichzeitigkeit der Erzeugung und des Verbrauches. Der Autarkiegrad sagt aus, wie viel der Anteil des selbst erzeugten und genutzten Stromes gegenüber dem gesamten Stromverbrauch ist und ist ein Mass für die Unabhängigkeit.
Quellen, Abkürzungen
Quellen:
Diplomarbeit BAT G_19_16 Eigenverbrauchsoptimierung im GEE Live Haus an der HSLU vorgelegt von Marc Häusler und Christian Purtschert. Die Diplomarbeit wurde von Roger Buser freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Bildnachweise:
Abb 1 C. Gubler, wiss. Assistentin HSLU
Abb 2 M. Gehrig
Abb 3 M. Häusler und C. Purtschert, Diplomarbeit BAT G_19_16
Abb 4-6 M. Gehrig
Abkürzungen:
GEE Gebäudeelektroingenieur
HLKS Heizung Lüftung Klima Sanitär
Infos zum Studium
Intelligente und umweltfreundliche Heizungs-, Lüftungs-, Klima- und Sanitäranlagen sowie Elektro- und Gebäudeautomationsanlagen zu realisieren – das lernen die Studierenden der Gebäudetechnik. Dieser Studiengang ist schweizweit einzigartig. Hier finden Sie weitere Informationen zum Bachelor of Science in Gebäudetechnik | Energie.
Im folgenden Video sehen Sie was der Gebäudeelektroingenieur in seinem Beruf tut, welche Chancen er hat und wie dieser Lehrgang bei den Arbeitgebern ankommt.