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Netzstabilität und Versorgungs-sicherheit

Hochspannungsmast im Gegenlicht der Abendsonne

Ergänzt: 14.01.2023 und 12.12.2023

Ein Thema aktueller denn je. Aber wie funktioniert Netzregelung überhaupt? Dieser Frage wollen wir hier nachgehen. Zwei Begriffe, die zusammenhängen, aber unterschiedliche Bedeutung haben. Wir schauen uns zuerst die Netzstabilität an und schwenken dann über, was sonst noch zur Versorgungssicherheit beiträgt oder diese verhindern kann.

In medias res

Die Netzstabilität wird durch drei unabhängige Regelmechanismen aufrecht erhalten: Die Primär, Sekundär und Tertiärregelung. Synchrongeneratoren tragen mit der Schwungmasse zur systeminhärenten Stabilität bei. Grosse Umformer von PV- und Windkraftanlagen tun dies mit ihrer schnellen Regelbarkeit. Die Versorgungssicherheit in der Schweiz ist im internationalen Vergleich sehr gut.

Stabilität

Die Netzstabilität hat drei Komponenten:
Bilanzmässig ausgewogen
Es muss zu jederzeit gleich viel Energie bezogen werden, wie gerade erzeugt wird. Wenn zu wenig produziert wird, sinkt die Frequenz und wenn zu viel generiert wird, steigt sie. Warum das wichtig ist: Aus Stabilitätsgründen muss die Frequenz in engen Toleranzen gehalten werden, da sonst grosse Ausgleichsströme durch die Übertragungsnetze pendeln würden.

Vorausberechenbar
Idealerweise ist der Kraftwerkseinsatz zu 100 % voraussehbar. Das ist real nicht so, denn jedes Kraftwerk kann auch durch nicht voraussehbare Störungen ausfallen. Daher muss immer eine gewisse Reserveleistung vorgehalten werden. Sind grosse Kraftwerke an der Produktion beteiligt, muss auch der Leistungsvorhalt gross sein. In Europa ist das für den Auslegungsstörfall 3000 Megawatt.1 Mit den erneuerbaren Energien, insbesondere Windkraft und PV, sind weitere Unsicherheiten dazugekommen. Flatterstrom spotteten über Jahrzehnte konservative Politiker, EVUs und allen hinterher sogar der Verband der Elektroinstallateure VSEI heute EITswiss. 2 Der Verband verlor damit für die Branche wichtige Marktanteile im PV-Geschäft an seine Konkurrenten aus der Dachdeckerbranche und der neuen Branche der Solarteure. Je mehr solcher Flatterstrom vorhanden ist, desto weniger flattert er. Das wissen inzwischen die EVUs schon lange und auch der EITSwiss ist dahingehend gewachsen. Heute ist erneuerbare Energie längst nicht mehr stochastisch, was heisst zufällig. Die Wettervorhersagen machen den Kraftwerkseinsatz planbar. Nicht immer, aber meistens. Allerdings braucht es in Zukunft noch einen massiven Zubau, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Inhärente Selbstregelung
Die traditionellen Kraftwerke mit Synchrongeneratoren haben die tolle Eigenschaft, dass sie in Drehstromnetzen durch ihre kinetische Energie zur Stabilität beitragen, noch bevor irgendein Regler eingreifen kann. Das nennt man Momentanreserve oder Trägheit.

Die Synchrongeneratoren koppeln die Kraftwerke mehr oder weniger hart mit dem Netz und allen anderen Synchrongeneratoren. Dennoch ist die Koppelung vergleichbar mit einer Feder. Jedes Kraftwerk und das Netz selbst enthalten wesentlich Induktivitäten. Induktivitäten sind vergleichbar mit Federn in der Translationsmechanik. Der Reziprokwert der Induktivität ist dabei die Federkonstante.

Die Summe aller rotierenden Massen der Kraftwerke, also Rotoren der Generatoren sowie Laufzeuge der Wasser-, Dampf- und Gasturbinen bilden die kinetische Energie, welche eine Frequenzänderung kompensieren. Die Grösse dieser kinetischen Energie ist aber auch Teil des Problems, denn wenn die Gesamtversorgung von Grosskraftwerken besorgt wird, so ist bei einer Störung die potenziell wegbrechende Kraftwerksleistung sehr gross. Bei Entso-E ist der Auslegungsstörfall für die Primärregelung auf 3000 MW festgelegt. Dieser Wert ist auch für die Momentanreserve massgebend. Der mögliche Frequenzgradient bei einem solchen Ereignis errechnet sich aus der folgenden Gleichung:

\[\dot{f} =\frac{\Delta P}{T_{AN}} \cdot \frac{f_{0}}{P_{sys}} =\frac{3000\  MW\cdot 50\  Hz}{12s\cdot 150\  GW} =83.3\  mHz/s\]

mit:
TAN: Anlaufzeitkonstante der Kraftwerke
f0: Nennfrequenz 50 Hz
∆P: Wegbrechende Kraftwerksleistung
Psys: Gesamte Kraftwerksleitung im System aktiv
f´: Frequenzgradient (Frequenzänderungsgeschwindigkeit)

Die Anlaufzeitkonstante ist die Zeit, die eine Synchronmaschine braucht, um vom Stillstand ohne Belastung und ohne Dämpfung auf die synchrone Drehzahl zu kommen, wenn sie mit dem Nennmoment angetrieben wird.

Die Momentanreserve wird auch mit der Anlaufzeitkonstante der Kraftwerke angegeben. Die Tabelle zeigt typische Zeitkonstanten:

TechnologieTAN [s]
Kernkraft14
Steinkohle/Braunkohle10
Gas- und Dampfkombikraftwerke (GuD)11
Gaskraftwerke (nur Gasturbine)3
Lauf- und Pumpspeicherkraftwerke6.8
Typische Anlaufzeitkonstanten Quelle: Greifswald21, Tab. B.2

Zur Selbstregulierung gehören auch die Dämpferwicklungen bzw. Dämpferstäbe, die im Rotor der Synchrongeneratoren eingebaut sind. Sie verhindern ein Pendeln um den Synchronpunkt.

Ein leerlaufender Generator, also eine Phasenschiebermaschine kann nur Blindleistung regulieren. Eine solche mit Schwungmasse kann auch Wirkleistung liefern, allerdings nur im Rahmen der kinetischen Energie des Schwungrades. Alte zurückgebaute Kraftwerke können zu Phasenschiebern umgebaut werden.3

Photovoltaikanlagen und die meisten Windkraftanlagen können keine systeminhärente Momentanleistung liefern und haben auch keine netzwirksamen Dämpferwicklungen. Haben wir nun also doch ein Stabilitätsproblem, wenn wir auf diese Erneuerbaren setzen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns die heutige Leistungselektronik näher ansehen.

Moderne Stromrichter können in allen vier Quadranten arbeiten und auch extrem schnell und kontinuierlich von einem in den anderen Wechseln. Falls plötzlich ein Teil der Kraftwerksleistung ausfällt und die Frequenz einbricht, halten die grossen Wechselrichter ihre Leistung am Netz und speisen trotz misslichen Umständen tapfer ihre Wirkleistung ein und stützen falls erforderlich durch Erhöhung der Blindleistung auch die Spannung. Der Wechselrichter ist auch in der Lage, im Millisekundenbereich zum Beispiel von kapazitiv einspeisend auf induktiv bremsend zu wirken. Damit wird einer plötzlichen Frequenzsteigerung in Folge eines Lastausfalles oder einer Netzspaltung entgegengewirkt. Diese Technik wird bei Batteriespeicheranlagen eingesetzt.

Abbildung 1: Vier Quadranten und Zählpfeilsystem

Umrichter haben daher die Möglichkeit, Netzfehler zu durchlaufen, ohne vom Netz trennen zu müssen. Dazu müssen auch Windräder in der Lage sein. Das nennt man synthetische Momentanreserve. Bei den Windkraftanlagen werden im wesentlichen vier Grundtypen unterschieden:

  1. Synchronmaschinen, direkt mit dem Netz gekoppelt
  2. Synchronmaschinen mit Vollumrichter drehzahlvariabel ans Netz gekoppelt
  3. Asynchronmaschinen (ASM) doppelt gespeist. Die Regulierung erfolgt nur über die Stromrichterkaskade der Rotorspeisung über Schleifringe. Die Maschine kann auf diese Art unter- oder übersynchron betrieben werden.
  4. Asynchronmaschinen direkt gespeist über einen Vollumrichter, der Läufer ist kurzgeschlossen. Im Gegensatz zu der doppelt gespeisten ASM wird hier die volle Leistung über den Umrichter geführt. Bei neuen Anlage ist dieses Konzept am weitesten verbreitet.

Netz- und Kraftwerksregelung

Die Netzregelung basiert auf drei überlagerten Regelsystemen. Die Primärregelung auch Frequenzhaltungsreserve4 ist Kraftwerksregelung zur Vermeidung grösserer Frequenzabweichungen bei Laständerungen oder Kraftwerksausfällen. Dabei soll, zusammen mit den Selbstregeleffekten, die durch den Proportionalregler bleibende quasistationäre Regelabweichung auf unter 200 mHz gedrückt werden.
Konkret wird hier die Dampf- bzw. Wassermenge geregelt, die auf das Turbinenlaufzeug drücken und so den Generator antreiben. Es wird also die Antriebsleistung und damit die elektrische Wirkleistung geregelt. Die erzeugte Wirkleistung hat bei einer bestimmten Last einen Einfluss auf die Frequenz. Daher ist die Drehzahl die Regelgrösse. Die Primärregelleistung (PRL) setzt innert wenigen Sekunden ein und soll nach 30 Sekunden vollständig verfügbar sein und bis 15 Minuten aufrecht erhalten bleiben. Besonders Pumpspeicherwerke mit ihren hohen Leistungsgradienten kommen hier zum Einsatz.

Dagegen ist die Sekundärregelung eine zentrale Regelung an der nur Kraftwerke beteiligt sind, die zusätzlich in der Lage sind, Regelarbeit zur Beseitigung der bleibenden Regelabweichung zu erbringen. Die Aktivierung von Sekundärregelleistung erfolgt automatisch und nur in der betroffenen Regelzone, in der die Ursache für die Systembilanzstörung liegt. Das Signal geht direkt an den Regler eines Regelkraftwerkes. Der PI-Regel sorgt mit seinem Integrator dafür, dass die quasistationäre Regelabweichung verschwindet. Die Sekundärregelleistung (SRL) setzt ein, sobald die maximale PRL erreicht ist und soll diese spätestens nach fünf Minuten ablösen. Die Sollwertabweichung der Frequenz soll nach 15 Minuten behoben sein.

Abbildung 2: Kraftwerk- und Netzregelung

Ist das nicht der Fall, so kommt die Tertiärregelleistung (TRL), auch Minutenregelleistung (MRL) zum Einsatz. Sie ist die ökonomische Alternative zur SRL und soll diese ablösen, damit die Sekundärregelleistung wieder zur Ausregelung von Schwankungen zur Verfügung steht. Sie wird, anders als bei PRL und SRL, nicht durch ein Regelsignal gesteuert, sondern manuell und zentral vom ÜNB aktiviert. Der Merit-Order-List-Server steuert den Einsatz marktentsprechend. Die Minutenreserve kann positiv oder negativ sein. Negative Tertiärleistung kann entweder durch Aktivierung zusätzlicher Lasten im Netz oder herunterfahren von Kraftwerken erreicht werden. Zusätzliche Lasten können Pumpspeicherwerke im Pumpbetrieb oder Regelkraftwerken wie zum Beispiel Power2Gas oder Power2Heat. Bei Energie Wasser Bern (ewb) wird in der Energiezentrale Forsthaus über einen Elektrodendampfkessel gleichzeitig Redundanz für die Dampfbereitstellung und Systemdienstleistung erbracht (ewb Elektrodendampfkessel (EDK). Diese Konfiguration rechtfertigt durchaus die an sich energetisch nachteilige Widerstandsverheizung von Elektrizität. Der Einsatz ist kurzzeitig und selten. Auf Power2Heat wird in einem späteren Artikel eingegangen.

Bleibt eine Frequenzabweichung längere Zeit anstehend, können andere Nachteile wie das Uhrenproblem entstehen, darum wird die Netzfrequenz so geführt, dass sich die Abweichungen in der Summe aufheben. Diese Quartärregelung ist für den Betrieb des Verbundnetzes nicht erforderlich.

Abbildung 3: Bereitstellung Regelleistung

Wie die Spannungsregelung im Netzparallelbetrieb funktioniert und wie diese mit der Blindleistung zusammenhängt, wurde bereits im Artikel Generatoren in der ET05-21 beschrieben.

Versorgungssicherheit

In der Versorgungssicherheit gehört die Schweiz weltweit zur Spitze. Die eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom ermittelt jährlich die sogenannten SAIDI und SAIFI-Werte. Die SAIDI-Werte beschreiben die durchschnittliche Ausfalldauer pro versorgten Endverbraucher über einen bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Netzgebiet. Die SAIFI-Werte beschreiben die durchschnittliche Ausfallhäufigkeit pro versorgten Endverbraucher über einen bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Netzgebiet. Die SAIDI-Werte sind über viele Jahre weitgehend stabil bzw. leicht rückläufig. Sie werden international vergleichbar, meistens jährlich ermittelt. Luxemburg hat die weltweit tiefsten Werte (10), Deutschland hat leicht geringere Werte (15) als die Schweiz (19), wogegen zum Beispiel Grossbritannien, Frankreich, Italien und Spanien Werte um ca. 55 bis ca. 70 Minuten haben und die Vereinigten Staaten sogar um 280 Minuten.5 Vor diesem Hintergrund haben Notstromversorgung in der Schweiz eine deutlich geringere Bedeutung wie etwa in der USA und einigen Ländern Europas.

Abbildung 4 SAIDI und SAIFI (Quelle Elcom)

Die Unterbrechungsdauer auf der Stufe VNB liegt in mittleren bis hohen Siedlungsdichten maximal zwischen unter 50 und unter 70 Minuten (2020) und die Häufigkeit zwischen 0.6/a und knapp unter 1.2/a (2020). Dennoch liegen die meisten Werte der VNB unter 10 Minuten und die Häufigkeit unter 0.2/a. Der Reziprokwert der Häufigkeit ist die Zeitdauer zwischen zwei Ereignissen, die eine Person erleben dürfte.

Jahr 2022202120202019
SAIDI AusfalldauerGeplant9 min9 min9 min11 min
 Ungeplant7 min8 min12 min8 min
 Total16 min17 min21 min19 min
SAIFI AusfallhäufigkeitGeplant0.120.120.110.10
 Ungeplant0.140.160.210.17
 Total0.260.280.320.27
Tabelle Statistik Ausfalldauer und Ausfallhäufigkeit (Quelle ElCom Berichte Jahre 2020 und 2021)

Die Versorgungssicherheit hängt eng mit der Netzstabilität zusammen. Um Versorgungssicherheit zu erreichen, ist aber auch Verfügbarkeit in der geforderten Qualität erforderlich. Das ruft nach entsprechend gepflegter Infrastruktur, um die Energie bereitstellen und verteilen zu können. Ein massiver Zubau von Photovoltaik und Windkraftanlagen ist auch in der Schweiz eine Bedingung für die zukünftige Versorgungssicherheit. Keine anderen Kraftwerke können so schnell realisiert werden wie Wind- und PV-Kraftwerke. Das wissen die meisten, jetzt muss man es nur noch tun. Aber es braucht doch auch noch Speicher. Das ist natürlich so. Aber erst, wenn wir die Kraftwerksleistung drastisch erhöhen, damit wir genügend Energie haben, um zu speichern.

Fazit

Die Netzstabilität und die Versorgungssicherheit waren, sind und bleiben eine Herausforderung. Sie ist aber kein Grund, auf die Energiewende zu verzichten, im Gegenteil. Immunität, Schutz und Regelung müssen optimal aufeinander abgestimmt sein. Es gibt auch andere Parameter wie Instandhaltung, Netz- und Anlagenkonfiguration, die zur Versorgungssicherheit beitragen, wie die Statistiken deutlich zeigen.

Begriff

Die Federkonstante in der Translationsmechanik beschreibt, welche Kraft notwendig ist, um eine Feder um eine bestimmte Länge zu strecken. Die Federkonstante der Induktivität in der Elektrotechnik beschreibt, welcher Strom notwendig ist, um eine bestimmte Spannungsänderung zu induzieren. Die Nichtlinearitäten lassen wir hier zuerst einmal beiseite.

Quellen

Oeding/Oswald Elektrische Kraftwerke und Netze

Dena16: Momentanreserve 2030. Bedarf und Erbringung von Momentanreserve 2030. Analyse der dena-Plattform Systemdienstleistungen. Deutsche Energie-Agentur Gmbh (dena) (Hrsg.)2016

Dena20: Systemsicherheit 2050. Systemdienstleistungen und Aspekte der Stabilität im zukünftigen Stromsystem, Deutsche Energie-Agentur Gmbh (dena) (Hrsg.), 2020

Bundesnetzagentur Bericht über die Mindesterzeugung 2019

Aqua & Gas: Power2Heat: Wie aus Strom Dampf wird ElCom Versorgungsqualität

Abkürzungen

DENA = Deutsche Energie-Agentur GmbH
Elektrische Kraftwerke und Netze
Enso-E = ENTSO-E ist der europäische Verband für die Zusammenarbeit der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) für Elektrizität
FCR = frequency containment reserves
SAIDI = System Average Interruption Duration Index und beschreibt die durchschnittliche Ausfalldauer pro versorgten Endverbraucher über einen bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Netzgebiet.
SAIFI = System Average Interruption Frequency Index beschreibt die durchschnittliche Ausfallhäufigkeit pro versorgten Endverbraucher über einen bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Netzgebiet.
ÜNB = Übertragungsnetzbetreiber (in der Schweiz die Swissgrid)
VNB = Verteilnetzbetreiber

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