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Gleichstrom für Industrie und Infrastruktur

Batterieanlage

Gleichstromnetz in der Industrie und als Verteilnetze. Wo liegen die Vorteile und welche Wünsche können nicht erfüllt werden?

Es klingt plausibel, mit einer Gleichstrominstallation kann Energie gespart werden, weil die Umwandlungsverluste wegfallen. Im Internet finden sich viele solcher Berichte, nicht alles ist aber korrekt und schadet daher der Bewegung. Wir wollen uns der Sache etwas fundierter nähern und räumen auch gleich unwahre Mythen aus, die eher der Welt der Esoterik angehören.

POE-Netze sind Gleichstromnetze

Wollen wir das wirklich? Ja, aber nicht wegen des Energieverbrauches. Denn Power over Ethernet (POE) ist eine tolle Technik und erspart in manchen Installationen zusätzliche Kabel. Energie spart das aber nicht, denn die Umwandlungsverluste in den Endgeräten stehen den Leitungsverlusten der Datenkabel mit den geringen Querschnitten gegenüber. Datenkabel sind nicht für Energieübertragung konzipiert. Bei langen Leitungen werden diese Verluste erheblich und können gegen 30 % betragen. POE ist also kein Gleichstromnetz im Sinne einer Energieversorgung.

Gefährlichkeit für den Menschen

Gleichstrom ist für Menschen weniger gefährlich wie Wechselstrom. Daher sind die Grenzwerte für DC-Berührungsspannungen in der Starkstromverordnung ab einer Einwirkzeit von 0.1 Sekunden höher. Der Grund liegt in der Körperimpedanz, welche spannungs- und frequenzabhängig ist.

Abbildung 1: Berührungsspannungen gemäss Starkstromverordnung Anhang 4

Schalten von Gleichströmen

Für Schalter ist die Unterbrechung eines Stromes, der keinen Nulldurchgang hat, wesentlich anspruchsvoller als die Abschaltung eines Wechselstromes, dessen Lichtbogen beim nächsten Nulldurchgang verlöscht. Diese Eigenschaft macht Schaltgeräte für Gleichstrom vergleichsweise grösser und teurer. Durch die Serieschaltung zweier Pole kann die Anzahl hintereinander geschalteter Löschkammern verdoppelt werden. Leistungsschalter für Gleichstrom gibt es bereits heute für bis 5000 Ampere (ABB Emax DC). Die elektronischen Auslöser haben spezielle Stromsensoren für diese Anwendung.

In der Hochspannungstechnik ist das weitaus anspruchsvoller. An Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) wird seit mehr als 75 Jahren geforscht und es existieren Punkt-Punkt-Verbindungen. Das Wegschalten von Netzfehlern in Mehrpunktgleichstromnetzen wird seit Ende der 1960er-Jahren erforscht. Nach verschiedenen Konzepten im letzten Jahrhundert gelang erst 2012 der Durchbruch, als ABB einen hybriden Schalter vorstellte. Einer der Hauptgründe, dass die Forschung so lange ging, war die zunehmenden Anforderungen aus der Netzstabilität, die in modernen Netzen 150 ms nicht mehr zuliessen, sodass konventionelle Konzepte bereits vor der kommerziellen Nutzung fallen gelassen werden mussten.

Auch in der Niederspannungstechnik wird die Zukunft den Halbleiter-Leistungsschaltern gehören. Damit lassen sich Abschaltzeiten von wenigen Millisekunden realisieren, die erhebliche Vorteile hinsichtlich Durchlassenergie, Netzstabilität und Netzführung bringen.

Forschung

Das Fraunhofer-Institut forscht an der gleichstromversorgten Fabrik. Die Machbarkeit einer dezentralen Energieflussregelung konnte nachgewiesen werden. Die Effizienzsteigerung von 5 bis 10 % sind vor allem auf die Nutzung überschüssiger Bremsenergie drehzahlgeregelter Antrieb über das Gleichstromnetz zurückzuführen. Da bei jedem Frequenzumformer ein Gleichrichter enthalten ist, fallen diese Verluste weg. Der Gleichspannungszwischenkreis ist also gemeinsam auf die ganze Fabrik verteilt. Das Netz ist mit 650 Volt DC ausgelegt. Bei den Leitungsverlusten dürfte daher die deutlich höhere Spannung zur Effizienzsteigerung beitragen. Eine Drehstromleitung hat gegenüber einer einphasigen Wechselstromübertragung bei gleicher Leistung nur gerade der halbe Verlust (ET12/18. Die Wirbelstromeffekte des Wechselstromes haben bei 50 Hz nur eine geringe Bedeutung (siehe Kasten). Die höhere Spannung und die damit geringeren Ströme bei gleicher Leistungsübertragung sind aus Gründen der Effizienz und der leichteren Schaltbarkeit interessant.

An der niederländischen TU Delft werden verschiedene DC-Forschungsprojekte verfolgt. Eines ist das Projekt DC Distribution Smart Grids (DCSMART) und wurde von der EU im Rahmen des Programms ERANET (European Research Area Network) von Horizon 2020 angenommen. Das Team um Pavol Bauer, Laura Ramirez Elizondo sowie Ernst Harting umfasst vier Doktorandenstellen und zwei Postdoc-Stellen. Die Projektpartner sind ausserdem Direct Current BV (Harry Stokman), Fraunhofer (Bernd Wunder), Centre Suisse d’Electronique et Microtechnique SA (Pierre-Jean Ale) mit weiteren Doktorandenstellen in Deutschland und der Schweiz.

Hintergrund

Das elektrische Energiesystem steht aufgrund der zunehmenden Anzahl dezentraler Energiequellen mit stochastischem Verhalten vor den bekannten Herausforderungen. Während das Verteilungsnetz traditionell mit Wechselstrom (AC) betrieben wird, arbeiten die meisten Geräte heute intern mit Gleichstrom (DC), und die meisten dezentralen erneuerbaren Energiequellen erzeugen Strom in DC. Darüber hinaus haben Speicherkomponenten wie Batterien und Superkondensatoren einen Gleichstromcharakter. Aber auch Frequenzumformer haben einen Gleichspannungszwischenkreis.

DCSMART ist ein interdisziplinäres Projekt, das darauf abzielt, eine unkomplizierte Integration von Smart-Grid-Systemtechnologien zu ermöglichen, Marktchancen zu schaffen und die Akzeptanz der Beteiligten durch die Entwicklung und Implementierung von intelligenten Gleichstrom-Verteilungsnetzen zu fördern. Die intelligenten Gleichstromverteilungsnetze werden auf modularen und skalierbaren Konzepten basieren und an zwei Demonstrationsstandorten, einem in den Niederlanden und einem in der Schweiz, validiert werden. Es werden innovative, intelligente Märkte und Smart-Grid-Anwendungen wie aktives Demand-Side-Management implementiert.

Gleichstromverteilnetze haben das Potenzial, Smart-Grid-Anwendungen auf einfachere Weise zu ermöglichen. Mit Gleichstromverteilnetzen könnten Gleichstromquellen und Gleichstromlasten direkt an einen Gleichstrombus angeschlossen werden, wodurch die Umwandlung durch das Gleichrichten und Wechselrichten entfallen. Dadurch würde nicht nur die Anzahl der Umwandlungsschritte reduziert, sondern auch die Notwendigkeit der Frequenzsynchronisation entfiele. Ausserdem haben die Netzrückwirkungen in einem Gleichstromnetz nicht die gleich gravierende Bedeutung wie in einem Wechselstromnetz. Denn Oberschwingungen in einem Drehstromnetz beeinflusst regelmässig die Symmetrie durch Oberwellen die im Nullsystem wirken. Die gleichmässige Belastung auf allen Aussenleiter eines Drehdrehstromnetzes ist evident, denn Unsymmetrie führt auch zu einem gegenläufigen Drehfeld und somit zu weiteren Verlusten. Gleichstromnetze kennen das nicht. Die leistungselektronischen Konverter bieten dem System Flexibilität, eine sehr wichtige Eigenschaft für den Einsatz von Smart-Grid-Anwendungen. In Gleichstromverteilnetzen ist die Beteiligung von Stromrichtern stärker ausgeprägt als in Wechselstromverteilnetzen. Durch eine angemessene Nutzung dieser Eigenschaft können intelligente Netztechnologien in Gleichstromverteilernetzen leichter eingesetzt werden, da die Stromrichter eine bessere Steuerbarkeit bieten und sich daher besser für die Implementierung von informations- und kommunikationstechnischen Netzanwendungen, wie z. B. aktives Demand Side Management, eignen.

Kritik

Die Umwandlungsverluste in den Endgeräten, die in Kleinspannung umwandeln, hat kaum grosse Bedeutung, da die Umwandlung in eine tiefere Spannung den Verlust ausmacht und nicht die Gleichrichtung. Die Gleichrichtung ist hier nur die Vorstufe, um anschliessend eine hochfrequente Spannung zu erzeugen, die effizient und kostengünstig in eine Kleinspannung gewandelt werden kann. Es entfallen daher lediglich die Diodenbrücke und der Kondensator der Primärglättung.

Fazit

Kleinere oder grössere Gleichstromnetze könnten in naher Zukunft die Wechselstromverteilnetze ersetzen oder ergänzen. Auch hybride Backbonestrukturen über Gleichstrom sind denkbar. Netzrückwirkungsprobleme, welche die Wechselstromnetze unvorteilhaft beeinflussen, können so konzentriert an den Übergabestellen wirkungsvoll und effizienter behoben werden.

Bereits vor rund 130 Jahren stand die Frage zur Diskussion, ob Gleich- oder Wechselstrom die bessere Alternative für die Versorgung der Welt mit Elektrizität sei. Die Frage wurde heiss diskutiert insbesondere von den beiden Verfechtern ihrer Ideen: George Westinghouse mit Nicolas Tesla für Wechselstrom, der sich dann durchsetzen sollte, gegen Thomas Alva Edison. Was beide nicht ahnen konnten: Der beispiellose Siegeszug der schnell und energiearmen schaltenden IGBT ermöglicht heute Leistungelektronik die hocheffizient Strom umformen und Lasten steuern kann und das noch in allen vier Quadranten. Grund genug, die Diskussion im neuen Lichte nochmals aufzunehmen. Packen wir’s an!


Apropos

Wirbelströme sind die Ursache von Skin- und Proximityeffekten. Sie nehmen mit der Frequenz zu und beeinflussen den Realteil der Leitungsimpedanz. Dieser setzt sich aus der Gleichstromkomponente und eben dieser Wechselstromkomponente zusammen. Der Imaginärteil ist ein reiner Wechselstromeffekt.

Die Wechselstromkomponente ist abhängig von den äusseren und inneren Wirbelströmen, welche die endliche Eindringtiefe und Nahfeldeffekte verursachen. Der Skineffekt wird vom Proximityeffekt gedämpft oder verstärkt, je nach Anordnung und Kabelart. Die exakte Berechnung ist erheblich komplex. Die beiden Effekte werden mit zunehmender Frequenz dominanter. Als Grössenordnung hilft die Abb. 2. Auch in Gleichstromnetzen sind Wechselstromkomponenten ausgehend von den Wechselrichtern vorhanden. In wie weit diese sogenannten Rippel die Vorteile von Gleichstrom in den Leitungen einschränken, hängt von den Rippelfrequenzen ab und ist noch wenig erforscht. Batterien, insbesondere Bleiakkumulatoren, sind empfindlich auf Rippel, was ihre Lebensdauer einschränkt.

Skin depth by Zureks

Abbildung 2: Eindringtiefe

In einem späteren Artikel wird dann auf konkrete Konzepte eingegangen. Dazu wird derzeit eine von mir in Auftrag gegebene und betreute Diplomarbeit geschrieben.


Bildnachweise
Abb. 1: Markus Gehrig aus SR 734.2 Starkstromverordnung, Anhang 4
Abb. 2: Eindringtiefe Wikipedia

Quellen:
ABB Kundenmagazin, Artikel Einfach schalten zum Thema hybride HGÜ-Schalter
Peter Lips, ETG Journal 2018, H. 1, S. 70-71, Leistungsschalter für die Hochspannungs Gleichstrom Übertragung.
Markus Gehrig, ET 12/18 Stromverbrauch in Serverräumen und Datacenter – Effizienz steigern und Verbrauch reduzieren
Markus Gehrig, ET 09/17 Stromversorgungen für Schaltschränke

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